“Death-Road”, “Camino de la muerte”, “Todesstraße”
Totale Übertreibung, schließlich überleben jährlich abertausende Möchtegern-Downhiller die Abfahrt – inklusive uns 🙂
Aber von vorn:
Einer der schnellsten Wege, um von den luftigen Anden ins Amazonasgebiet zu gelangen, liegt vor den Toren von La Paz. Diese mittlerweile fast ausschließlich von Mountainbikern befahrene Straße überwindet auf ihren 64km insgesamt 3500 Höhenmeter (von 4670m auf 1200m) und durchquert gleichzeitig nahezu alle Klimazonen Südamerikas! “Straße” ist allerdings für den alten, unteren Abschnitt der Strecke der falsche Begriff – schmale Schotterpiste trifft’s eher. War ja auch mühselig, den teilweise senkrechten Abhängen einen befahrbaren Weg abzugewinnen 1930. Immerhin halfen paraguayische Kriegsgefangene bei den Bauarbeiten.
Einspurige Schotterpiste + senkrechte Abhänge + Nebel + Regen + mittelprächtige Fahrkünste – Leitplanke = 200-300 Tote jährlich
Das ist die Bilanz bis 2007 – dann wurde nämlich eine richtige Straße, eine Umgehung gebaut und die Todesstraße hat mangels Verkehr ihren Schrecken größtenteils verloren. Heute verunglücken nur noch Radfahrer, die denken, sie hätten Flügel.
Gute Bremsen können bei der Abfahrt auch nicht schaden, dachten wir uns und deshalb haben wir an dieser Stelle mal nicht versucht zu sparen. 😉 Außerdem hätten wir uns eh keinen Drahtesel ausleihen und ohne Agency auf eigene Faust drauflosfahren können, denn wir wollten im Anschluss direkt unten im Dschungel bleiben und hätten schlecht unser gesamtes Gepäck transportieren können.
Also gar nicht lange suchen, sondern gleich zur renommiertesten Agency, speziell für die Todesabfahrten – “GRAVITY”. Beste Bikes, beste Ausrüstung, beste Guides, bester Preis (nicht), beste usw… von allem eben das Beste, hieß es überall. Okay – raus mit der Kohle – schließlich hängt ja auch das Leben dran.
Treffpunkt früh morgens war ausgerechnet unser Stammlokal “Cafe del Mundo”! Top! Geht ja gut los… können wir uns gleich noch ein paar Kilos anfuttern für den idealen Abtrieb.
Unsere Guidine hieß Linda. Linda kommt ursprünglich aus Holland, ist schätzungsweise Anfang 40 und froh, zum ersten Mal mit ihrem Hobby Geld zu verdienen.
Alle Jungs und Mädels rein in den coolen Tourbus und gleich die Stimmung anheizen mit Queen’s Bicycle Race.
Noch während der Fahrt hoch auf den Pass auf knapp 4700m gab’s von Linda die ersten Instruktionen. Es sollten nicht die letzten bleiben. Sicherheitshinweise wie “always keep the distance!”, “distance is your friend!”, “concentrate on the road, not the landscape!”, “always look 15 meters in front of you!” oder “use the frontbrake as slightly as possible!” konnte nach der Fahrt jeder auswendig.
Auf Höhe des Passes wurden dann automatisch alle ein wenig ruhiger angesichts der Höhe und der dramatischen Kulisse. Wie war das nochmal? “The frontbrake is your friend – pull as hard as possible!”? – oder so ähnlich… hat sie dann bis zum Endpunkt der Busfahrt eh noch ca. 6 Mal wiederholt zur Sicherheit.
Von hier geht’s also los… dann mal besser Schneeketten anziehen!
Oben angekommen! Höher geht’s nun wirklich nicht mehr. Alles anziehen, was der Rucksack hergibt! Nachdem die Räder alle ihren Besitzer gefunden hatten, gab’s erst einmal wieder eine Runde mantraähnlich… na was wohl… genau – Sicherheitshinweise!
“Alright my friends – what we have here is a B-I-K-E! This is the front… other side the back. Use the handlebar like this…” usw., etc., pp.
Ja gib endlich her den Drahtesel – mir frieren schon die Flossen ab!
Dagegen half dann nur Schnaps… Minero-Schnaps, 100% Alc versteht sich. Was anderes trinkt Pachamama (Mutter Erde) nämlich nicht, denn das Ritual, das Glück bringen soll, hat Tradition in Südamerika. Ein Schluck für Pachamama und… ein Schluck…hey Moment – nicht gleich die halbe Flasche…
Mit zwei bis drei Tropfen wird noch das Rad gesegnet und wir sind bereit.
Ein paar Anweisungen mussten wir noch aushalten und irgendwann ging es dann, nachdem bei den ersten (inklusive Antje) die ersten Finger vor Kälte (und Löchern in den Handschuhen) schwarz wurden, los.
“Halt!! Stopp!!! Alle zusammenbleiben! Sammelpunkt nach 400m am Straßenrand, zum Fotoschießen.” Ou man… da dachten alle, es ginge endlich los und schon wird sie voll reingehauen, die Euphoriebremse… dabei hieß es doch, es darf nicht zu hart gebremst werden?!
Okay… sind schon nette Fotos, aber jetzt will ich endlich drauflosbrettern… endlich mal rollen lassen. Diese endlos vor sich hin schlängelnde Straße runter:
Dieser erste Abschnitt ist übrigens noch Vorgeplänkel, der ausgebaute Teil der Straße runter in den Dschungel – die echte Todesstraße, also die alte Strecke, zweigt erst ab ca. der Hälfte des Weges ab. Perfekt geteerter Radweg eigentlich – anfangs zumindest. Deshalb rauf auf die High-End-Räder und Abfahrt!
Der Fahrtwind blies etwa drei Minuten lang – dann musste ich meinen Vordermann auf seinen Plattfuß aufmerksam machen. Ein außerplanmäßiger Notstopp war natürlich die Folge – zusätzlich zu den ca. 26152 geplanten Zwischenstopps. Gut, dass wir einen Mechaniker mit an Bord hatten, der das Problem zeitig beheben konnte.
Vor einer Tunnelumfahrung mussten nochmals einige Anweisungen verkündet werden.
“Es wird nun etwas holpriger. Die Umgehung ist nicht geteert. Passt auf den Schotter auf.” Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Jede Unebenheit, jeder Stein wurde, auch wenn er erst in 600 Meter Entfernung auf seine Opfer wartete, im Vorfeld von Linda angekündigt.
Ungefähr auf Höhe des Tunnels, also noch ganz am Anfang der 64km langen Abfahrt, überholte uns eine kleine, nicht sehr sportlich ausschauende, ältere Frau mit der Geschwindigkeit einer etwas schnelleren Schildkröte, während wir wieder Lindas Sicherheitspsalmen zuhörten. Die Dame war mit dem Leihrad und Integralhelm einer anderen Agency, scheinbar auf eigene Faust, unterwegs. Ich erzähle das jetzt, weil diese Omi letzten Endes Ausdruck der unglaublichen Langsamkeit unserer Gruppe sein wird 😉 Wobei wir, wenn wir mal gefahren sind, ja eigentlich eh flott unterwegs waren!
Spaß erstmal beiseite – jetzt wird’s nämlich ernst!
Start der sagenumwobenen Todesstraße. Die Landschaft und das Klima verändern sich während der Abfahrt unglaublich rasant. Kaum war man noch im Schneematsch, muss man schon die ersten Kleidungsstücke loswerden, um den Hitzschlag zu verhindern.
Uuuund weiter geht die wilde Fahrt – aber nicht lange, denn: Nächster Plattfuß – Läuft!
Okay, zwei platte Reifen sind schon Pech, aber aller guten Dinge sind drei… deshalb fahren wir nur wenige Kurven weiter und flicken Rad Nummer drei:
Lustige Anekdote zur Verkehrssonderregel auf der gesamten Death-Road:
Es herrscht eigentlich Links-Verkehr. Das stammt aus der Zeit, zu der noch breite LKW’s irgendwie aneinander vorbei mussten. Beim regulären Rechts-Verkehr könnte man beim Überholmanöver schlecht abschätzen, wann die beiden rechten Räder den Abgang in die Schlucht antreten – daher Links-Verkehr!
Macht mittlerweile (kein Kfz-Verkehr mehr) und mit Rädern allerdings keinen Sinn mehr. Unsere Gruppe hielt sich trotzdem an diese Regel – alle anderen Gruppen NICHT! Man kann sich denken, zu welchen chaotischen Situationen das geführt hat.
Dieses Problem hatte sich aber eh zeitig selbst gelöst, denn nach den ganzen Reparatur-Stopps und Sammelstopps hatten uns die meisten anderen Radfahrer-Gruppen schon längstens meilenweit abgehängt und auch die ultragechillte Omi mit Integralhelm hat uns zum wiederholten Mal in Zeitlupe links liegen lassen. Die Tour war kurz davor zur Bored-to-Death (-Road)-Abfahrt zu werden. In der Gruppe gab es bereits die ersten genervten Blicke, aber es gibt wohl kaum einen spektakuläreren Wartebereich 🙂
Antje wurd’s trotzdem zu bunt und war kurz davor, ihr Rad zu entsorgen:
Zum Glück hat sie sich’s dann doch anders überlegt – Dank meiner Überredungskünste 🙂
Beim ultimativen Death-Road-Gruppenfoto brachte selbst Linda ihr Bike in Entsorgungsstellung 😉
Was wirklich nie fehlen darf und international geltende Vorschrift bei allen coolen Fotospots ist – das Sprungbild:
Gestartet in Fels und Eis, vorbei an ersten Büschen und Gräsern waren wir nun schon im dichtesten, nebelverhangenen Dschungel. Regelmäßig gibt’s eine kleine Dusche von oben (Wasserfälle) und Spritzer von unten (Flussüberquerungen). Reihenweise Grabsteine und Kreuze am Wegesrand zeugen von der einstigen Gefährlichkeit der Strecke, damals als noch viel Kfz-Verkehr herrschte.
“Keep the distance” ruft Linda… dabei glühten meine Bremsscheiben eh schon.
Beim letzten und (endlich!!) längsten Abschnitt, den wir mal ohne Zwischenstopp zurücklegten, wurde Linda dann vom Mechaniker und saufitten Downhill-Kollegen Jorge als Vorhut abgelöst. Jorge war auch nicht ausgelastet, wollte noch etwas Training auf die Beine und fuhr wie von der Tarantel gestochen vorne weg – wir hinterher. Endlich mal Vollgas (kontrolliert natürlich – für alle die, die sich jetzt beim Lesen wieder Sorgen machen).
Beim letzten Fluss, den es zu überqueren galt, lauerte wieder der Fotograph 🙂
Top Technik gegen nasse Füße!
Antje wählt die Spaß-im-Nass-Variante 🙂
Beinahe zeitgleich mit uns traf die Integralhelm-Omi ein, ganz tief unten im Tal, am Ende der Strecke, auf nur mehr 1200m Höhe. Eigentlich hätte sie mit auf’s letzte Gruppenbild gehört, aber leider war sie schon weg. 😉
Fazit zur “gefährlichsten Straße der Welt” – schafft jede Omi, aber nur mit Integralhelm und Scheibenbremsen!
Können wir nur empfehlen – wer bisher erst zweimal auf einem Rad saß, ist bei Gravity bestens aufgehoben und wird auf Samtkissen heruntergeschaukelt (zumindest von Linda). Allen anderen raten wir: Leiht euch ein Downhill-Bike aus, nehmt Flickzeug mit und fahrt auf eigene Faust los. 😉
Die landschaftlichen Veränderungen um einen herum an nur einem Tag sind einzigartig und ein absolutes Highlight, denn wo gibt’s sowas schon?!
Wir blieben dann auch gleich unten im warmen Klima – alle anderen fuhren per Begleitbus über die neue Ausbaustrecke wieder zurück nach La Paz.
Für uns ging’s nach einer Nacht in Coroico,
wunderbar auf einem Bergrücken gelegen mit Blick auf Dschungel und gletscherbedeckte Riesenberge gleichzeitig, noch tiefer ins Flachland – nach Rurrenabaque ins Amazonasbecken. Es sollte die schlimmste Busfahrt unserer Reise werden. Die Story dazu müssen wir erst wieder aus unseren Hirnen kramen, für den nächsten Blogbeitrag 😉
Passt witzigerweise zum Beitrag, dass wir gestern auch wieder mit den Rädern unterwegs waren – in einer nicht weniger beeindruckenden Landschaft – am höchsten aktiven und gleichzeitig vielleicht formvollendetsten Vulkan der Erde!
Schöne Grüße vom 5897m hohen Cotopaxi in Ecuador 🙂
Ein Gedanke zu „The Death-Road“
Das Bild mit der Truppe am Abgrund ist spektakulär…. euer Outfit auch ;-)))))
Die Fahrtechnik von Antje bei der Wasserdurchfahrt ist exellent !!!!!!!!