Durch Schnee und Eis am Äquator
Den Superlativ, sich “Dach Afrikas” nennen zu dürfen, hatten vor ca. drei Wochen bereits die Äthiopier für sich beansprucht, als wir dort im großflächigen Hochland der Simien Mountains in Höhen zwischen 3000-4600m unterwegs waren. Reine Definitionssache. Die Spitze des Daches steht jedenfalls in Tansania und heißt Uhuru Peak – der höchste Punkt des Kilimanjaro-Massivs – 5895m hoch und damit fast 5km hoch über der afrikanischen Steppe gelegen.
Den Traum, einmal da oben auf den ganzen schwarzen Kontinent hinunterblicken zu können und auf dem Weg nach oben alle Klima- und Vegetationszonen der Erde zu durchschreiten, hatte ich mir bereits vor sechs Jahren zusammen mit Freunden erfüllt.
Weil wir nun aber ohnehin in der Nähe waren und wir in Äthiopien gerade am heißesten und einem der tiefsten Punkte Afrikas waren (Danakil-Senke) und Antje auch unbedingt mal die Dachspitze des Kontinents sehen wollte, dachte ich mir, “jo…was soll’s, geh ich eben nochmal rauf. Kann man auch getrost zweimal machen, den Kili”.
Innerhalb von zwei Wochen vom heißesten & tiefsten Ort Afrikas auf den kältesten und höchsten.
Los geht’s! Trekkingangebote einholen, Kosten überschlagen, Weltreisekontostand checken, Gabelflüge raussuchen, vom Geld verabschieden, buchen!
Rein in den Flieger und rüber nach Tansania zum Kilimanjaro Airport bei Moshi. Auf dem Weg dorthin konnte man sich mit einem perfekten Sonnenuntergangs-Ausblick zum Kilimanjaro im Vorbeifliegen schon mal einstimmen auf das, was folgen sollte.
Die Regenzeit war gerade vorbei und hat das gesamte Gipfelgebiet in eine Schneelandschaft verwandelt. Es wird kalt werden! Die Nationalparkverwaltung empfahl sogar den Einsatz von Steigeisen! In Äthiopien trafen wir zwei Südkoreanerinnen, die zuvor am Berg im kniehohen Schnee aufgeben und umkehren mussten. Das kann ja heiter werden.
Nach einem kurzen Lagecheck wählten wir für den Aufstieg die wenig frequentierte Rongai-Route auf der kenianischen, wetterabgewandten Seite des Massivs aus – was sich im Nachhinein voll auszahlen sollte!
Damit Antje nicht wieder Zehen und Finger an die Kälte verliert, besorgten wir uns beim lokalen Tour-Operator “Monkey Adventures” (für Lowbudget-Traveller sehr zu empfehlen!) noch dicke Schlafsäcke und Handschuhe für den Gipfeltag – und schon konnte die Expedition beginnen. Insgesamt kam unsere Mannschaft inkl. uns auf 11 Personen. Chief-Guide, Assistant-Guide, Cook, Waiter, 5 Porter. Wird so von der Regierung vorgeschrieben – kein Witz!
In sechs Tagen über die Rongai-Route zum höchsten Punkt Afrikas und wieder zurück!
Gebucht hatten wir (wie immer) eine Gruppentour, weil Gesellschaft Spaß macht und weil’s auch billiger ist – und heraus kam (wie fast immer) eine Privattour – weil niemand anderes den gleichen Trip zur gleichen Zeit gebucht hatte (oder krankheitsbedingt absagen musste).
Tag 1:
Startpunkt: Rongai-Gate auf 2364m im Regenwald
Tagesziel: Simba-Camp auf 2671m im Moorland
Gleich am Rongai-Gate, die Überraschung – wir waren nicht allein… wir waren ganz und gar nicht allein! Ein unvorstellbares Getümmel aus Trägern und Trekkern war zu beobachten.
Am interessantesten war aber die Feststellung, dass die Tour am Berg in Sachen Komfort von Basic (wir) bis purer Trekking-Luxus (andere) reichen kann.
Hier ein paar Beispiele:
Es war Mittagszeit, also Essenszeit.
Bei uns gab es eine Kartonbox mit kaltem Alufolie-Hähnchen, Ei und Sandwich, welches wir auf einem Stein sitzend zu uns nahmen. Bei einem Paar aus Neuseeland (Privattour) gab es Mozzarella und Tomaten und Früchte (Vorspeise), heiße Gourmet-Suppe und einen Hauptgang, den wir uns nicht mehr ansehen wollten. Das ganze Edelmenü zu sich genommen mit feinstem Besteck auf einem Deluxe-Campingstuhl (inkl. Sitzheizung?) auf einem Alu-Ultralight-Camping-Esstisch mit sauberster Spitzen-Tischdecke.
Tjo… braucht kein Mensch! Wir wurden auch so satt! 😉 Außerdem müssen wir an dieser Stelle vorwegnehmen, dass unsere Versorgung mit Essen und Trinken absolut vorbildlich war im weiteren Verlauf! Das frisch zubereitete Essen war geradezu fantastisch und wir wurden gemästet wie Weihnachtsgänse!
Einziger Wehrmutstropfen und gleichzeitig Beispiel #2: Die Sitzgarnitur und das Essenszelt
Wo andere sich, von unseren neidvollen Blicken beobachtet, auf komfortabelsten Stühlen mit Arm- und Rückenlehne räkelten, reichte es bei unserer Lowbudget-Tour leider nur für einen Anglerhocker ohne alles! Gleiches galt für das mess-tent (Essenszelt). Antje und ich fürchteten bei teilweise starkem Wind unter der Stangen-Plastikplanen-Behelfs-Knaupkonstruktion begraben zu werden, während andere sich stehend und tanzend im Antarktis-Expedition-Messtent-3000 vergnügten. Wir dachten in solchen Momenten immer an den Erlebnisfaktor und bildeten uns ein, nur halb so viel zu zahlen für die Tour, wie die Luxus-Trekker – was sicher auch stimmte! 😉
Beispiel #3: Alles Flaschen
Was wird beim Aufstieg zum größten Problem? Genau – die dünne Luft! Andere Expeditionsmannschaften nahmen dagegen Sauerstoffflaschen mit Atemmaske mit – bei uns gab es eine Flasche Wasser! Reicht auch!
Beispiel #4: Vorbereitung ist alles
Vor dem Abmarsch sahen wir einer großen Gruppe aus England zu. Einer der Teilnehmer nahm eine eigenst mitgebrachte kleine Handwaage aus der Tasche und wog erst einmal die Tagesrucksäcke aller Mitstreiter ab, bevor er eine Runde Diamox-Tabletten verteilte (übelste Chemie gegen schwere Formen der Höhenkrankheit). Antje und ich versuchten zur gleichen Zeit verzweifelt, unsere nassen Unterhosen an der feuchten Luft zu trocknen – uns ist vor dem Trip die saubere Wäsche ausgegangen. 😉
Zurück zu Tag 1 – eigentlich schnell erzählt: Kurze Wanderung zum ersten Camp. Im Regenwald sahen wir sogar eine ganze Mantelaffenfamilie in den Bäumen rumturnen.
Im Camp war dann erwartungsgemäß die Hölle los:
Tag 2:
Startpunkt: Simba-Camp auf 2671m im Moorland
Tagesziel: Second Cave-Camp auf 3450m im Moorland
Wieder eine kurze Wanderung. Die meisten anderen Trekker hatten uns ab hier auch auf anderen Wegen für einen weiteren Tag zum Akklimatisieren in einem Zwischencamp verlassen.
Bild oben: Antje in der ersten von vielen Lava-Höhlen
Bild unten: Weltbester Blick von einem Klo aus
Vorbildlich in Sachen Höhenanpassung war unsere nachmittägliche Akklimatisations-Wanderung knapp 300 Höhenmeter überhalb des Camps und wieder zurück.
Bild oben: Godlisten, unser Chief-Guide und ich zwischen Kibo (Kilimanjaro-Hauptgipfel) rechts und Mawenzi (zweithöchster Gipfel des Kilimanjaro-Massivs) links
Bild unten: Blick runter in die wolkenverhangene kenianische Steppe zum Sonnenuntergang
Bild oben: Antje beschwört die Berggeister
Bild unten: Mawenzi im letzten Tageslicht. Sicherlich auch eine Klettertour wert
Tag 3:
Startpunkt: Second Cave-Camp auf 3450m im Moorland
Tagesziel: Third Cave-Camp auf 3900m im Moorland
Und auch der dritte Tag war so entspannt, dass man sich fragen musste, wann sie denn nun kommt, die Anstrengung und Verausgabung, die einem alles abverlangt.
Wir waren in diesem wunderschön gelegenen Camp mit Blick auf den Kibo (Hauptgipfel des Kilimanjaro-Massivs) ganz alleine und nachmittags zum Sonnenuntergang wieder unterwegs zwecks Höhenanpassung.
Bild unten: Mawenzi mal schüchtern
Wirklich allein ist man hier oben aber nie. Vom kenianischen Flachland pilgern Wildtiere, vor allem Wasserbüffel bis in die höchsten Regionen – auf der Suche nach Salzen und Mineralien. Überall findet man Spuren am Boden. Ein Wasserbüffel hat sich vor fünf Jahren leider auf seinem Ausflug zum Salz-Schleckstein so blöd mit seinen Hörnern im Fels verkeilt, dass es gleich hier oben blieb – für immer.
Bild unten: Glasklare Sicht auf die Milchstraße bei Nacht
Bild unten: Sonnenaufgang über der kenianisch-tansanischen Grenze
Bild unten: Daniel und Johnson zeigen wo’s hingeht
Tag 4:
Startpunkt: Third Cave-Camp auf 3900m im Moorland
Tagesziel: Kibo Hut- Basecamp auf 4720m in der alpinen Steinwüste
Bild unten: Antje beim vorschriftsmäßigen Registrieren
Ausgangsort für die nächtliche Gipfelbesteigung und Knotenpunkt vieler anderer Routen. Hier trifft sich alles, was bereit ist, sich nachts stundenlang durch die Dunkelheit die steile Fels- und Schutthalden des Kibos hochzuschinden – in der Hoffnung, nicht der dünnen Luft zum Opfer zu fallen. Auf 5300m stehen dem Körper nur noch 50% des Sauerstoffs auf Seehöhe zur Verfügung. Im Gegensatz zu den meisten anderen Trekkern hier oben kannten wir das aber schon bestens! Diese Erfahrung und vor allem die Tatsache, dass wir zuvor in den Höhen des äthiopischen Hochlandes unterwegs waren, führte dazu, dass wir uns hier oben im Camp putzmunter fühlten.
Andere hatten leider weniger Glück. Gegen 14:00 Uhr kamen tatsächlich immer noch Gipfelaspiranten die Kibo-Hänge runter. Viele davon mussten von ihren Guides gestützt werden, zwei davon sogar prompt per “Rettungswagen” in Richtung Tiefland abtransportiert werden.
Bild unten: Die Einrad-Rettungswagen am Kilimanjaro
Bild unten: Abtransport eines Höhenkranken
Bild unten: Im Vordergrund und Hintergrund müssen Trekker beim späten Abstieg gestützt werden
Schlafen konnten wir aber dennoch nicht wirklich. Auch unsere Guides nicht. Aufstehzeit: 23:30 Uhr. Klingt verrückt! Eine Aufstehzeit sollte eigentlich immer im Folgetag liegen! Aber gut – gemütlich ist so eine Nacht auf der Höhe des höchsten Berges der Alpen eh nicht wirklich – also raus und rein in die Bergstiefel!
Tag 5:
Startpunkt: Kibo Hut – Basecamp auf 4720m in der alpinen Steinwüste
Halbzeit: Uhuru Peak auf 5895m zwischen (leider nicht wirklich) ewigem Eis
Tagesziel: Horombo Hut auf 3725m im Moorland
Abmarsch war 00:15 Uhr, Tag 5 war also 15 Minuten alt. Wir fühlten uns sehr fit und waren deshalb guter Dinge, ganz oben anzukommen. Das folgende Bild zeigt die nächtliche Route vom Basecamp bis an den Kraterrand:
Viele schleppen sich in der Gipfelnacht mit letzter Kraft und purem Willen zumindest bis zum Rand des riesigen Gipfelplateaus – dem Gilmans Point auf 5685m. Der Kilimanjaro gilt damit bereits als bestiegen und man erhält eine Urkunde – aber wirklich oben ist man eben nur ganz oben – da, wo es nicht mehr weiter hoch geht!
Wir stapfen im Schildkrötentempo durch die Dunkelheit und überholen dabei reihenweise Trekker, denen es sichtlich schwerer fällt als uns. Manche übergeben sich oder sitzen hyperventilierend im kalten Schutt und erholen sich. Nach 4h45min und einer sternenklaren, fast windstillen Nacht, also perfekten Bedingungen, erreichen wir um 5 Uhr morgens den Gilmans Point.
Anstelle des wärmenden Sonnenaufgangs bläst uns ab hier ein unbarmherziger, eisiger Sturm entgegen und fast wieder rückwärts den Hang hinunter. Pause will man da keine machen – also weiter rauf!
Am Stella-Point (da kamen wir 2012 bei unserer Besteigung rauf) vorbei Richtung Uhuru Peak.
Auf dem Weg dahin bin ich dann fast wieder durchgedreht vor lauter Bilder- und Video-Aufnehmerei.
Bild oben: Blick über das weitläufige Gipfelplateau zum Krater
Bild oben: Nur noch wenige Meter…
Bild unten: …da kann man sich mal freuen…
Zum herbeigesehnten Sonnenaufgang waren wir bereits unmittelbar vor dem Gipfel, welchen wir um 06:45 Uhr sturmumtost und jubelnd erreichten! Noch mehr Bilder und Videos waren die Folge! 😉
Hier der Gipfelwahnsinn und Weg dahin im Video:
www.the-travel-junkies.com/video-kilimanjaro-tansania/
Die Eindrücke auf dem völlig zugeschneiten Gipfelplateau bei aufgehender Sonne waren einfach überwältigend!! 2012 war hier oben alles schneefrei – jetzt lag das, mittlerweile wieder auf den tollen Retrostyle umgebaute, Gipfelschild ringsum einen Meter tief im Schnee. Man stand also auf 5895+1m! 😉
Bild oben: Selbst die leicht höhenkranke Travel-Antn (österr. für Ente) hat’s bis rauf geschafft
Unsere beiden Guides Godlisten und Simon hat der Aufstieg und die Bedingungen im Gipfelbereich jedenfalls wenig beeindruckt. In Straßenklamotten und ohne Handschuhe (!!!) sind sie mit uns durch die Nacht bis zum Gipfel und zurück gestiefelt, so als ob sie einen Wochenendspaziergang machen würden, während Antje trotz Nordpolhandschuhen immer noch taube Fingerkuppen hat!
Das Wasser in den Flaschen war gefroren, die Schokolade hart wie Diamant, die Picknick-Temperatur lag ca. 40 Grad unterhalb der Wohlfühltemperatur. Deshalb schlürften wir nach ca. 15min Gipfelfreud schnell wieder zurück zum Gilmans Point, der windgeschützten Seite des Berges.
Unsere Routenwahl erwies sich auch hier als die richtige. War unser Aufstieg bis zum Kraterrand noch vollkommen schneefrei, sahen wir die Aufstiegsroute am Stella-Point im oberen Bereich im Schnee liegen (Bild unten) – was den Abstieg ohne Steigeisen sehr gefährlich machen kann.
Wieder zurück am Gilmans Point noch ein letzter Blick über den Krater und das nahegelegene Eisfeld…
… bevor es wieder die Serpentinen hinunter zum Basecamp ging, welches wir um 09:45 Uhr erreichten.
Zurück im Camp ist der Gipfeltag am Kilimanjaro aber noch lange nicht vorbei. Die Höhenmedizin verlangt es, noch am gleichen Tag weiter abzusteigen, um Folgen der dünnen Luft in Hirn und Lunge zu vermeiden. In fünf bzw. sechs Tagen vom Flachland auf fast 6000m zu steigen, bezeichnete der Höhenmediziner Oswald Ölz einst als “physiologisch versuchter Mord”. Nach zwei Stunden Entspannung und einem leckeren Eintopf zogen wir Oswald-gerecht wieder die stinkenden Bergstiefel an und marschierten vom Basecamp aus weitere 1000 Höhenmeter ab ins Horombo Camp, vorbei am zerklüfteten Mawenzi (dritthöchster Berg Afrikas).
Bild unten: Blick zurück zum Kibo, auf dessen Spitze wir vor einigen Stunden noch standen…
Bild unten: Endemische Riesen-Senecien
Tag 6:
Startpunkt: Horombo Camp auf 3725m im Moorland
Tagesziel & Endpunkt: Marangu-Gate auf 1870m im Regenwald
Der letzte Tag hatte es mit 19km und knapp 2000 Höhenmetern nochmal in sich – war also kein lockeres Auslaufen nach dem Gipfelvortag. Durch’s Moor- und Heideland wird die Vegetation entlang der Marangu-Route langsam immer üppiger bis hin zum dichten Dschungel an den unteren Hängen des Massivs.
Nach 6 Stunden Gewaltmarsch und insgesamt sechs extrem abwechslungsreichen Tagen im Gebirge war das Abenteuer Kilimanjaro am 20.06.2018 mit unvergesslichen Eindrücken beendet.
Kaputt, aber glücklich freuten wir uns auf Dusche und Bett!
Am nächsten Morgen, also gestern, im gemütlichen Secret-Garden-Hotel in Moshi, am Fuße des Kilimanjaros gelegen, sitzen wir gerade am Tisch auf der Dachterrasse, als die Wolken plötzlich unverhofft eine Lücke freigeben mit Blick zum Gipfel:
“Da oben standen wir vorgestern noch!!”
Verrückter Anblick! 🙂
Kann man kaum glauben… aber hier ist der Beweis:
Cheers!
Morgen früh um 04:00 Uhr hebt unser Flieger ab zum letzten Land unserer Weltreise – KENIA
Wieder mit von der Partie – Christine – kommt frisch eingeflogen pünktlich zum Sommerferienbeginn. Freuen uns auf drei Wochen Rift-Valley mit den Big-Five, Vulkanen, kochenden Seen und dem indischen Ozean! 🙂
Ein Gedanke zu „Kilimanjaro – das 5895m hohe Dach Afrikas“
Wäre da kein Schnee könnte man meinen du hättest die Bilder von damals genommen 😛 Das weckt Erinnerungen………… Viel Spaß euch in Kenia